An sich hatte sich Paul Kendall, ein Journalist vom Daily Telegraph vorgenommen nachzuempfinden wie ein spätmittelalterlicher Ritter in vollem Harnisch sich beim Lanzenreiten gefühlt haben mag. Solches Nacherleben ist oftmals ein Antrieb für historische Darstellungen und bringt ebenso häufig wertvolle Informationen über den Alltag vergangener Zeiten. Seine Erfahrungen hat er in einem Artikel niedergeschrieben.
Darin zeigt sich aber eher an welchen Punkten so ein Vorhaben scheitern kann. Ich kann nicht abschätzen wie seine Recherche aussah, im Ergebnis ist er aber an einen „Fachmann“ geraten der ihn in eine selbstgebaute Rüstung gesteckt hat, die so schwer ist das der Journalist sich, nach eigener Aussage kaum bewegen kann und nicht in der Lage ist nach seinem Schwert zu greifen. Die Vorstellung ein Ritter sei zur fast vollständigen Bewegungsunfähigkeit verdammt findet sich zwar häufiger, resultiert aber eben aus solchen Berichten.
Schaut man sich die Rüstung auf den Bildern einmal genauer an, sieht man sofort dass diese sehr schlecht sitzt, die Schulter sind zu tief befestigt, stehen ab und sind generell für den Träger zu groß. Das ist ein wenig wie der Versuch ein Modell über den Laufsteg zu schicken dessen Schuhe vier Nummern zu groß sind.
Tatsächlich sind Rüstungen, zumal solche fürs Turnier, ausgeklügelte Geräte für einen exklusiven Sport in dem es vor allem um Repräsentation ging. Die Vorstellung ein Ritter sei bei einem Turnier oder auch bei einem Kriegszug vor seinesgleichen in einer verrosteten Rüstung aufgetaucht ist absurd.
Hätte der Journalist stattdessen einen wirklichen Experten gefunden wie Dr. Tobias Capwell von der Wallace Collection in London, der selbst bei nachgestellten historischen Turnieren reitet, oder auch Mike Loades, der als Experte für Schaukampf bei Filmproduktionen arbeitet, hätte sich ihm ein völlig anderes Bild von Rüstungen geboten. Dieser Film zeigt zum Beispiel wie es eigentlich um die Beweglichkeit solcher Rüstungen stand. Mit etwa 30 Kg Gesamtgewicht liegt die Ausrüstung eines solchen Ritters sogar deutlich unter dem was ein moderner Soldat ins Gefecht trägt, zu dem ist diese Ausrüstung noch gleichmäßig am Körper verteilt und nicht auf den Rücken geschnallt.

Andreas Wenzel, Mitglied der britischen Turniergruppe Destrier, besteigt ohne Mühe in seiner Rüstung ein Pferd. Bildrechte bei Bob Naegele http://rjndesign.zenfolio.com
Das Beispiel verdeutlicht eindrucksvoll, warum es für das Nacherleben von Geschichte unabdingbar ist mit hochwertiger Ausrüstung zu arbeiten, die so exakt wie nur irgendmöglich nach den Vorlagen gefertigt wurde. Sonst kommt es immer wieder zu dem Eindruck, dass was die Menschen damals getan haben, sei unsinnig oder gar dumm gewesen. Nimmt man jedoch brauchbare Materialien, erstaunt es einen immer wieder, wie durchdacht die Lösungen in Wirklichkeit waren. Rüstungen sind da nur ein Beispiel. Das Gleiche lässt sich für alle anderen Bereiche historischer Darstellung genauso sagen.
Für einen tieferen Einblick in das Thema empfehle ich einen Vortrag von Dirk Breiding am Metropolitan Museum in New York der sehr unterhaltsam die möglichen Fehler in der Vermittlung solcher Inhalte aufzeigt
[(1)Das Bild wurde diesem Artikel entnommen: http://www.telegraph.co.uk/active/8380592/How-I-battled-with-jousting-and-won.html zuletzt geprüft am 9.4.2011, alle Rechte beim Daily Telegraph