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Terra X bemerkt dass es Geschichtsfenster gibt.

Donnerstag, Juni 16th, 2022

Unter dem Video über die Geschichte des Mülls auf Youtube (https://youtu.be/GIE2cfC9iiA)
findest sich angepinnt folgender Kommentar:

Liebe Kritiker, wer Fernsehdokumentationen macht, kann sich irren. Und wenn man uns Irrtümer nachweist, werden wir die letzten sein, die abstreiten, dass sie bei der Darstellung eines Sachverhalts daneben lagen. Das werden die bestätigen, die uns Fehler nachgewiesen haben. Mitunter haben wir sogar Filme nachträglich geändert. Etwas anderes ist es, wenn man uns nachsagt, – und das geschieht in manchen Kommentaren hier implizit – dass wir bewusst Geschichte verfälschen, um irgendwelcher „Narrative“ willen. Dagegen müssen wir uns verwahren. Das ist eine völlig frei erfundene Unterstellung. Denn: Welchen Zweck sollten wir mit unserer Geschichtsklitterung verfolgen? Und hinzukommt, dass die verbale Auf – und Entrüstung in manchen Kommentaren bei nüchterner Betrachtung in einem deutlichen Missverhältnis zu den tatsächlichen Kritikpunkten steht. Um auf die drei wichtigsten Kritiken, die sich in den Kommentaren hier finden, einzugehen:

1. Angeblich stellen wir das Mittelalter immer negativ dar. Eine seltsame Unterstellung angesichts der Tatsache, dass wir alleine während der letzten 10 Jahre rund 50 Programme gesendet haben, die sich ganz oder teilweise dem Mittelalter gewidmet haben. Warum sollten wir so viel Geld und Mühe in die Darstellung einer historischen Epoche investieren, die wir eigentlich für den „schlimmsten Ort der Geschichte“ halten, wie es ein Kommentar unterstellt? Dass die hygienischen Verhältnisse im Mittelalter – darum geht es hier – im Vergleich zu heute zu wünschen übrigließen, daran kann man nicht ernsthaft zweifeln. Es ist eher so, dass die aus der Antike überlieferten, „mittelalterlichen“ Überzeugungen noch viel länger wirkten als man denkt. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts wollten Chirurgen und Geburtshelfer nichts vom Händewaschen wissen und glaubten selbst bedeutende Mediziner nicht an Krankheitserreger. Noch einmal: es liegt uns völlig fern, das Mittelalter abzuwerten, aber wir sehen auch keine Veranlassung, es romantisch zu verklären. 2. Wie haben sich die Römer den Hintern abgewischt? Auch in dieser sehr speziellen Frage sollen wir angeblich die Tatsachen verfälschen. Wir sind anderer Überzeugung: Auf den öffentlichen Toiletten in Rom kamen sog. „Xylospongia“ zum Einsatz. Das waren Naturschwämme, die am Ende eines ca. 30 cm langen Stockes befestigt waren. Die meisten Historiker gingen und gehen auch heute noch davon aus, dass diese Schwämme zum Säubern des Hinterns nach dem Toilettengang verwendet wurden. Danach wurden sie in fließendem Wasser ausgewaschen und vom nächsten benutzt. Siehe aktuelle Ausstellung: https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/bautzen/bautzen-hoyerswerda-kamenz/drauf-geschissen-ausstellung-barockschloss-rammenau-100.html In einem Vortrag aus dem Jahr 2009, der 2012 in einem Sammelband publiziert wurde, widerspricht der Wiener Archäologe Gilbert Wiplinger dieser Theorie der Verwendung des „Xylospongium“ und tritt dafür ein, dass es sich dabei um eine „Klobürste“ gehandelt habe, die lediglich zur Reinigung der Toilette gedient habe. Aber bei genauer Überlegung macht eine Klobürste bei einem Plumpsklo nicht wirklich Sinn. Tatsache ist, dass es keine präzise Beschreibung der Verwendung aus der Antike gibt. Der innere Widerstand, den ein moderner Mensch gegen die im Film beschriebenen Vorgang empfindet, bedeutet nicht, dass das Xylospongium nicht tatsächlich so verwendet wurde. Aus heutiger Sicht ebenso befremdlich ist ja schon der Umstand, dass die Toiletten nicht nach Geschlechtern getrennt waren und auf jede Privatsphäre verzichteten. Und das ist gänzlich unbestritten. 3. Im Zusammenhang mit dem Pferdemist in den modernen Metropolen wird die Verwendung eines historischen Fotos aus New York kritisiert. Im Gegensatz zu der Behauptung in einem der Kommentare unten sagen wir keineswegs, es handele sich um eine Szene aus London. Im Kommentar heißt es: „Das Problem betrifft alle großen Städte von London, über Paris bis New York“. Dass das Foto eine winterliche Szene zeigt und ein Teil der Dreckberge aus Schnee bestehen, wollen wir gar nicht bestreiten. Aber der Schnee ist ganz offensichtlich von Dreck – und das war eben in erster Linie Pferdemist – durchsetzt. Die Dramatik der „Great Horse Manure Crisis“, wie es in den amerikanischen Geschichtsbüchern heißt, vermittelt sich auf vielen historischen Fotografien, auf denen sich die Mistberge mindestens genauso hoch türmen, wie in dem kritisierten Foto – und wir zeigen ja einige davon, was die Kritiker aber keiner Erwähnung wert finden. Dieses besondere Foto fand Eingang in den Film, weil es sich im Unterschied zu vielen anderen Fotos in einem technisch guten Zustand befindet. Auf jeden Fall lässt sich aus der Verwendung des Fotos nicht ableiten, dass die „Pferdemistkrise“ nicht tatsächlich existiert hätte oder von uns maßlos übertrieben worden wäre. Noch einmal: für sachliche Kritik sind wir jederzeit empfänglich. Aber bleibt in Euren Urteilen fair und hinterfragt das „Geschichtsfenster“ genauso kritisch wie unsere Filme.

In den Kommentaren findet sich ungewöhnlich viel Kritik am gezeigten und Geschichtsfenster wird mindestens achtmal erwähnt, jedes mal im Tenor das man sich schon auf unsere Reaktion freut.
Tatsächlich freut es uns sehr zu sehen, dass zumindest ein wenig öffentliche Kritik entsteht, denn bisher war Terra X das schon ziemlich Teflonbeschichtet.

Wir haben folgenden Kommentar dazu geschrieben:

Hey, Terra X weiß, dass es meinen Kanal gibt. Der Wahnsinn! Meine Reaktion geschaut hat aber wohl keiner, denn darin sage ich gar nichts zu den Xylospongia. Nicht ein Wort. Ich sage ziemlich viel zum Mittelalterteil, wozu ihr halt keine Stellung nehmt. Bedauerlich. Auch zur oben als Argument gebrachten Causa Semmelweis solltet ihr nochmal nachlesen. Da geht es um den Besuch der Ärzte am Kindbett der Mütter. Bei Operationen selbst war Händewaschen schon sehr lange üblich. Es gibt genau dafür schon spätmittelalterliche Quellen.

Die Sache mit dem Foto ist dann aber eben genau so ein Beispiel für einen Fehler und ganz offenbar nehmt ihr das eben nicht an. Denn das Bild wurde nicht nur in seiner Färbung veändert, es wurde auch so stark zugeschnitten, dass man den freien Gehweg auf der rechten Bildseite nicht sieht. Es gibt schlicht keine Bilder, die diesen behaupteten Mistberg zeigt, dafür findet man zeitgenössische Methoden den Pferdekot aufzufangen. Und alle sonstigen Aufnahmen dieser Städte in eurer Doku zeigen erstaunlicherweise freie Straßen ganz ohne Kothaufen. http://www.geschichtsfenster.de/2022/06/04/faktencheck-terra-x/
Und wenn ihr hier schon den Begriff „Great Horse Manure Crisis“ verwendet, dann wisst ihr natürlich auch, dass der Begriff sehr neu ist und sich auf einen Artikel der Times aus dem Jahr 1894 bezieht, in dem eine solche Situation als Prognose für die Zukunft beschrieben wird, nicht als Zustandsbeschreibung. Aber ich frage mich schon, was ihr erst macht, wenn ihr Zahlen seht, wie den 55 Tonnen Hundekot, die laut Berliner Umweltverwaltung täglich in der Stadt anfallen.

Schade, dass der Riese Terra X, der mit jeder Sendung Hundertausende erreicht, so wenig souverän mit der Kritik eines Zwerges wie meinem Kanal umgeht. Ich bedaure im übrigen sehr, wenn in den Kommentaren Vorsatz unterstellt wird. Ich tue das nicht. Aber ich sehe das Problem, dass solche Produktion die Glaubwürdigkeit der Medien untergraben.“

 

Faktencheck Terra X

Samstag, Juni 4th, 2022

Ich habe gerade kürzlich ein Reaktionsvideo zur Terra X-Doku zur Geschichte des Mülls gebracht und darin fiel schon auf, dass zwar vom vielen Mist auf den Straßen im 19. Jahrhundert gesprochen wurde, die meisten Bilder, die dort zu sehen waren, aber nichts davon zeigten.
Erst am Ende der Sequenz kamen dann einige Bilder, die die Aussage belegen sollten. Da ich meine Reaktionsvideos unvorbereitet aufnehme, konnte ich diese live nur schwer einordnen, eine kurze Recherche mit Hilfe eines Zuschauers (Danke, Mawudo) brachten dann aber schnell Ergebnisse, die ich ohne Übertreibung als erschütternd beschreiben muss.

Im Film wird über London im Jahr 1900 folgendes gesagt:
„Der Pferdemist liegt zum Teil meterhoch in den Straßen und das betrifft alle Großstädte dieser Zeit“
Das Ganze unterlegt unter anderem mit diesem Bild:

Eine kurze Recherche zeigt aber, dass das Bild zum einen eigentlich eine ganz andere Einfärbung hat und auch einen anderen Ort, Zeit und Situation zeigt.
Es handelt sich um eine Aufnahme von den Auswirkungen des Blizzards, der New York im Jahr 1926 getroffen hat.
Die Berge auf dem Bild sind viel eher Schnee als Pferdemist. Das Bild ist zudem nur ein Ausschnitt, der alle Hinweise darauf, dass New York gezeigt wird, entfernt. Auch der freie Gehweg passte wohl nicht recht ins Bild.

Das ganze wäre schon ein Fall für Mimikama, denn hier haben wir es mit handfesten Falschdarstellungen zu tun und ich weiß nicht was mich mehr beunruhigt: Die Vorstellung, dass hier einfach mit einem zufällig gefundenen Bild geschlampt wurde ohne zu checken, was es eigentlich heißt, oder aber das hier ganz bewusst ein Bild manipuliert wurde, um das eigene Narrativ zu stützen.

Tatsächlich bin ich so was bei mittelalterlichen Bildern gewohnt, da spielt es keine Rolle aus welcher Zeit das Bild eigentlich ist und was es eigentlich zeigt, aber bei einem neuzeitlichen Bild hatte ich bisher keine so klaren Beispiele dafür wie schlecht solche Produktionen arbeiten.
Natürlich kann man das Ganze als Nitpicking abtun, aber bei einem aktuellen Bild würden jetzt Faktenchecker das Ganze untersuchen und vermutlich würde es eine harte öffentliche Reaktion mehr oder minder großen Ausmaßes geben.
Im Bereich der Geschichtsdokus, scheint das aber keinen zu stören.

Schade eigentlich.

Boccacio und das schmutzige Mittelalter

Donnerstag, März 15th, 2018

Momentan scheint das Mittelalter in den Medien mal wieder besonders schmutzig zu sein. Keine Behauptung ist dabei absurd genug. Dass die Straßen immer und zu jeder Zeit Schlammgruben waren ist dabei nichts neues, aber auch die Flüsse sollen die reinsten Kloaken gewesen sein. Ja, selbst auf Burgen sei der Gestank so schrecklich gewesen, dass man auf eine Zweitburg ausgewichen sei, bis die erste wieder gereinigt worden wäre. Was solche Geschichten einer Gesellschaft die den Planeten ernsthaft in Schwierigkeiten bringt über Verdrängung aussagen, soll hier aber nicht das Thema sein.

Die Gasse als Latrine

Die Gasse als Latrine

Stattdessen soll es um Verwendung von Quellen und deren unkritische Verbreitung an einem Beispiel gehen. Eine immer wieder anzutreffende Bildquelle ist das nebenstehende Bild. Der Kontext in den es gestellt wird ist immer wieder die Aussage, die Leute hätten relativ ungeniert auf offener Straße ihr Geschäft verrichtet und die Nebengassen als Abort verwendet.
Daraus wird dann konstruiert, die Straßen wären über und über mit Fäkalien bedeckt gewesen.

 

 

 

Boccaccio Decameron, Ms. 5070, fol 54v

Dass genau dieses Bild zur Bezeugung solcher Aussagen nicht taugt, zeigt eine Betrachtung des gesamten Bildes.
Es stammt aus einer französischen Ausgabe des berühmten Dekameron von Boccaccio aus dem 15. Jahrhundert. Ursprünglich im Besitz des Herzogs von Burgund, ist es heute in der französischen Nationalbibliothek und alleine die Illustrationen machen eine Lektüre sehr lohnenswert: BNF Ms. 5070

Das ganze Bild zeigt schon eine andere Szenerie, denn oberhalb der Person ist ein Abort zu sehen. Liest man die dazu gehörige Geschichte, ändert sich der Kontext noch einmal deutlich.

Es handelt sich um die fünfte Geschichte des ersten Tages der Geschichtensammlung, die als Bestseller des Spätmittelalters gelten darf.
Ein junger Pferdehändler gerät in Genua an eine Betrügerin, die hinter seinem prall gefüllten Geldbeutel her ist. In ihrem Haus hat er seine Oberbekleidung und seine Hosen abgelegt. Zu seinem Unglück (oder Glück, die Geschichte suggeriert, das er sonst in diesem Haus ermordet worden wäre) bricht auf dem Abort der Boden unter ihm ein und er fällt in den darunter liegenden Graben in die Fäkalien.

Das Bild zeigt also keineswegs jemanden der ohne Scham in der Öffentlichkeit sein Geschäft verrichtet, sondern das Gegenteil, eine schamerfüllte Person, die in intimer Lage in die Öffentlichkeit geraten ist und sich dem Spott der Menschen ausgesetzt sieht.

Auch handelt es sich nicht um eine Seitengasse, sondern um einen Ehgraben, den freien Platz zwischen zwei Häusern, der tatsächlich häufig als Latrinengrube verwendet wurde. Die Mauer vor diesem Graben ist offenbar aus künstlerischen Gründen reduziert worden.
Dabei sprechen wir aber im Grunde über einen Misthaufen, wie er heute auf jedem Bauernhof zu finden ist, ganz ohne, dass die Bewohner dabei vor Gestank umkommen. Das räumen dieser Ehgräben und Latrinengruben ist denn auch in den Quellen immer wieder zu finden, denn letztlich ist auch das ein wertvoller Rohstoff.

Auch der Geruch der Hauptperson wird in der weiteren Geschichte mehrfach behandelt, selbst zwei Grabräuber an die er gerät,  beschweren sich über seinen Gestank und beschreiben ihn als den abscheulichste Gestank, der ihnen in ihrem Leben vorgekommen sei.

Wir haben also in dieser Geschichte einen Nachweis dafür, dass es den Menschen deutlich peinlich gewesen wäre in der Öffentlichkeit ihre Notdurft zu verrichten. Ebenso zeigt das Bild wie die Toiletten der Häuser aussahen.
Vor allem aber zeigt es, dass Gestank eben nicht die Norm der Zeit war, sondern selbst von Ganoven als abstoßend und unnormal betrachtet wurden.

 

Ein weiteres Beispiel ist übrigens das alte Thema des Nachttopfes der auf die Straße entleert worden wäre. Sucht man dafür nach Belegen findet man z.B. dieses Bild:

Entleeren des Nachttopfes

Entleeren des Nachttopfes

Auf den ersten Blick, scheint es ein Beleg für das beliebte Topos, die Leute haben ihre Abfälle einfach auf die Straße geworfen. Aber auch hier erkennt man leicht, das es nur um einen Ausschnitt handelt. Daher lohnt sich der Blick auf das ganze Bild:

Sebastian Brandt, Narrenschiff, 1494: von nächtlichen Hofieren

Sebastian Brandt, Narrenschiff, 1494: von nächtlichen Hofieren

Auch dies eine Szene aus einem berühmten Buch, nämlich aus dem Narrenschiff von Sebastia Brandt. Der Text dazu ist eine Klage gegen das nächtliche hofieren, mit den Worten:

„Die Gassentreter und die Göffel,
Die durch die Nacht nicht ruhen können,
wenn sie nicht auf der Gasse rennen,
Und schlagen Laute vor der Tür,
Ob nicht das Mädchen schau‘ herfür,
Nichts andres von der Straß‘ sie bringt,
Bis man mit Kammerlaug‘ sie zwingt.“

Auch hier wird das, zudem ironisch überspitzte Ereignis kurzerhand zur Struktur erklärt, zum Normalzustand der ganzen Epoche.
Leider kommt kaum eine filmische Umsetzung des Mittelalters ohne dieses immer wiederkehrende ausleeren des Nachttopfes aus.

Natürlich darf man eine mittelalterliche Stadt nicht nach unseren Sauberkeitsvorstellungen bewerten. Alleine schon aufgrund dessen, dass eine Stadt viel weniger urbanisiert war und zwischen den Häusern Gartenwirtschaft und Viehhaltung betrieben wurde, gab es natürlich Dreck auf den Straßen. Nicht anders als hier in Münzenberg, wo die vielen in den Hofreiten gehaltenen Pferde deutliche Spuren hinterlassen.
Dennoch bedeutet das keineswegs, dass die Menschen dem gleichgültig gegenüber gestanden hätten.

Lebenshaltung in Frankfurt des Jahres 1475, Teil 4: Bekleidung

Samstag, Dezember 23rd, 2017

Ungefähr die Kleidung die wir uns bei einem Handlungsdiener wie Lutz Gessler vorstellen müssen. Abgesehen vom Hermelinpelz natürlich.

Auch diesen Teil der Serie über Lebenshaltungskosten wollen wir mit der Rechnung des Handlungsdieners Lutz Gessler beginnen, die wir schon im vorangeganenen Artikel untersucht hatten. Der zweite Posten dieser Rechnung von Lutz Gessler betrifft den Posten Kleidung.
Er stellt für seinen Aufenthalt in Nürnberg: 1477 bis 1479 folgende Rechnung:

99 Wochen beim Wirt „gesessen“: 99 fl
Kleidung: 31,75 fl
Wein, Bier, Holz, Badegeld: 18,075 fl
Auswärtige Aufenthalte (5 Wochen): 16,4 fl

Summe: 165,225 fl

Der Posten für Kleidung enthielt dabei: 2 Röcke, 5 Wämser oder Goller, 4 Kappen oder Hüte, 4 Hosen, 30 Paar Schuhe, 1 Paar Stiefel, Zubehör wie Messer, Sporen und Gürtel für insgesamt 31,75 fl rh, im Jahr also etwas unter 16 fl rh, immerhin knapp ein fünftel der gesamten Kosten.
Dabei sprechen wir durchaus von jemandem von dem gute Kleidung erwartet werden kann.

Die Große Ravensburger Handelsgesellschaft für die Gessler in Nürnberg weilt fordert von ihren Lehrknaben und Handlungsdienern bescheidene Kleidung, weil man „ie nit iunckarschafft liden“ will.
Gute „anständige“ Kleidung taucht wird aber regelmäßig gefordert sei es als Voraussetzung für eine Altenpfründe im einem Spital oder um eine Stelle als Handelslehrling anzutreten.

Vergleichen wir den Wert aus der Rechnung Lutz Gesslers mit ein paar konkreten Zahlen:

Einfache Kleidung eines Knechtes oder Ackerbürgers


Tuchbedarf je Kleidungsstück:

Rock für Dienstkleidung, Frankfurt, 15. Jahrhundert: 6 Ellen (3,28 m)
Rock, Schecke: 5-7 Ellen
Wams: 3-4 Ellen
Hose: 1,5-2 Ellen

Hierbei spielt natürlich die Stoffbreite eine große Rolle. Oft wird von recht schmalen Stoffbreiten ausgegangen, die Frankfurter Schneiderordnung von 1520 nennt aber für niederländisches Importtuch eine Breite von 3 Ellen (etwa 1,60 m) und für Tuch aus Mecheln 2,75 Ellen an. Leinen scheint in schmaleren Bahnen hergestellt und gehandelt worden zu sein, hier finden sich Angaben zwischen 92 und 112 cm.

Kosten je Kleidungsstück:

Rock: 3-4,5 fl
Wams: 0,2 bis 0,5 fl
Wams aus teurem Importstoff: 2,8 bis 9 fl
Hosen: 0,63 bis 2,8 fl

Interessanterweise unterscheidet sich die Kleidung für die Patrizier in Tuchbedarf, Tuchart und Kosten kaum von der ihrer eigenen Knechte oder auch mittlerer Handwerker. Zumindest die Alltagskleidung ist also eher betont einfach, was sich mit der Darstellung in etlichen Bildquellen durchaus deckt.
An Stoffen findet man eine gnze Reihe Stoffe, wobei „Importstoff“ teurer war und höheres Ansehen genoß als z.B. das Friedberger Tuch. Leinen wurde in unserem Betrachtungszeitraum langsam vom billigeren Barchent zurückgedrängt, überraschend wenn man bedenkt, das Baumwolle importiert werden musste.
Auch Fell war recht weit verbreitet im städtischen Umfeld aber selbst bei Patriziern im Alltag eher vergleichsweise einfache Sorten wie Mader oder Zobel.
Anders sieht es natürlich bei der Festtagskleidung aus, die für Festlichkeiten angeschafft wurde und auch auf Portraits gezeigt wird. Hier liegen die Kosten schnell über 10 fl für einen Satz Kleidung, wobei die Grenze nach oben offen sind.

Zwei Bürgerinnen in Kirchgangskleidung

Kleiderordungen die immer wieder ausgegeben wurden versuchen die Auswahl der Materialen zu regulieren, wobei die festgestellten Werte deutlich unter den erlaubten Obergrenzen bleiben. Immerhin erlaubt z.B. die Wiener Kleiderordnung von 1450 eine höheren Bürgerin Stoff für 4 fl die Elle, für Männer ist ein fl pro Elle die erlaubte Obergrenze.
Aber vor allem Luxuststoffe wie Atlas und Samt, vor allem aber die Menge des Schmucks werden immer wieder reguliert, wenngleich die Obergrenzen recht hoch erscheinen, wenn eine Handwerkerin Silberschmuck von dreieinhalb Mark (also annähernd ein Kg) und Ringe von 30 fl Wert tragen darf.

Kosten von Festtagskleidung sind nicht so einfach zu finden, bei Hochzeitskleider, also so ziemlich der oberen Grenze finden sich aber Beispiele. Zum Beispiel das einer Augsburger Patrizierin mit 63,5 fl. Wirklich aus dem Rahmen fällt der Wert der Ausstattung einer weiteren Augsburgerin, die 381 fl am Leib trägt. Davon 230,5 fl in Form von Goldschmuck, aber immer noch 150,5 fl für das Kleid aus Damast, Atlas, Samt und Kamelhaar.

Junge Männer in hochmodischer Kleidung. Möglicherweise Angehörige von Patriziergeschlechtern.

Ein wichtiger Punkt sind auch Kleidungsabgaben, die im Grunde zum Kapitel über Löhne gehören würde, wegen der Vergleichbarkeit aber hier aufgeführt werden. Diese waren Bestandteil vieler Dienstverträge.

Städtischer Rechenmeister, Frankfurt, 1454: 6 Ellen Tuch oder 48 Turnosen (4,4 fl)

Älterer Schreiber, Frankfurt, 1454: 12 Ellen Tuch oder 8 fl

Jüngerer Schreiber, Frankfurt, 1454: 8 Ellen oder 5,33 fl
städtischer Fischer, Frankfurt 1504: 6 Ellen Portnertuch sowie eine Lederhose oder dafür 1 fl

Kleidung für einen Lehrling in Freiburg (Rock, Hose, „Wäsche“, Gugel, 4 Paar Schuhe) 2,06-2,2 fl

Die hohen Kosten für das hier ausgegebene Tuch und überhaupt die hohen Kosten für Kleidung sind durchaus erstaunlich. Die Kosten übersteigen oft die für Unterkunft deutlich, werden andererseits aber immer wieder auch durch Kleidungs- oder Stoffgaben abgemildert. Auch dass die Schützen in Frankfurt am Main vom Rat Hosenstoff als Preis gestiftet bekamen, zeigt, das Stoffe recht begehrt und wertvoll waren.
Aber auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Kleidungsstücken z.B. Rock und Wams sind sehr auffällig. Dies ist deutlich auf die Kosten des Stoffes zurückzuführen, die Herstellungskosten können den Unterschied kaum erklären.. Mehr als ein halber Gulden pro Elle und der Umstand das selbst die Oberschicht mit recht wenig Röcken auskommt, die er zudem lange trägt, lässt eine heute kaum bekannte Langlebigkeit der Stoffe annehmen. Es finden sich auch durchaus Quellen, das selbst Patrizier ihre Kleidung reparieren oder sogar neu färben lassen und selbst ein vier Jahre lang getragener Mantel ist es noch wert weiter verschenkt zu werden.
Die besondere Betonung hochwertiger Stoffe findet man auch bei den Zuteilungen in Frankfur. Dort wird recht deutlich zwischen dem Richtertuch für die höheren Stände und dem Portertuch unterschieden, das eben an Türmer Pförtner und ähnliche Dienstknechte ausgegeben wurde.
Auch Kleidung zu Geld zu machen scheint nicht schwer gewesen zu sein. Es findet sich immer wieder verpfändete Kleidung und 1506 verkauft die Stadt Basel die Kleidung eines hingerichteten Schmiedeknechtes immerhin noch für 3,4 fl rh.
Die Farbe schein allgemein keinen sehr großen Einfluss mehr auf die Gesamtkosten gehabt zu haben. Sicher gibt es immer noch Farben die sich im Preis niederschlagen wie die recht begehrte Rotfärbung mit importiertem Rothalz, aber in den Quellen taucht immer nur die Art des Stoffes als Statussymbol auf.

Darstellung eines Bettlers.

Abschließend können wir damit ungefähr folgende Kosten nach soziale Schichten feststellen:

Einfache Ausstattung oberhalb der Armutsgrenze:
10 Ellen Tuch und Leinen, mindestens 4 Paar Schuhe. Aufwand 2-3 fl im Jahr.

Bedarf für mittleres Bürgertum mit repräsentativem Anspruch: 10 bis15 fl im Jahr.

Oberschicht, wie mittleres Bürgertum, zuzüglich Festtagskleidung

Die Kosten für Frauenkleidung taucht in den Quellen leider kaum auf, abgesehen von Extrembeispielen wie den oben genannten Hocheitskleidern. Hausangestellte erhalten zwar immer wieder Kleidung oder auch Stoffe, aber beide Angaben reichen nicht auf die Kosten der jährlichen Ausstattung zu schließen. Vor allem bei den Stoffgaben, die ganz grob im Schnitt bei 10 Ellen Leinen im Jahr liegen, lässt sich nur schwer sagen, was verarbeitet wird und was für eine Aussteuer zurückgelegt wird.

Schuhe:

In der obigen Rechnung Lutz Gesslers sticht die enorme Anzahl an Schuhe ins Auge. Nicht weniger als 30 Paar Schuhe und ein paar Stiefel stellt er in zwei Jahren in Rechnung.
Generell scheint ein Verbrauch von 10 Paar Schuhen im Jahr, bei kosten von 1,5 bis 3,5 fl im Jahr durchaus die Regel gewesen zu sein, wenngleich auch hier Zuteilungen mit dem Lohn immer wieder zu finden sind. Gerade bei Lehrlingsverträgen sind solche Schuhzuteilungen immer wieder zu finden.

Lebenshaltung in Frankfurt des Jahres 1475, Teil 3: Unterkunft

Sonntag, Dezember 17th, 2017

BettNachdem wir nun das Geld im Frankfurt des Jahres 1475 kennengelernt haben und die Einkünfte untersuchen konnten, kommen wir nun zu den Ausgaben.
An den Beginn dieser Betrachtung der Kosten wollen wir die Rechnung des Ravensburger Handlungsdieners Lutz Gessler für einen Aufenthalt in Nürnberg vom 27.10.1477 bis 27.10.1479 stellen. Natürlich sind derartige auswärtige Kosten höher als im normalen Umfeld, aber als Maximalwert ist das ein guter Einstieg.
Ein Handelsdiener ist der Beauftragte eines Kaufmanns oder eine Handelsgesellschaft, der als Gesandter die Interessen nach außen vertritt ohne selbst Partner zu sein. Heute würde man vom unteren bis mittleren Managment sprechen, dem entsprechend kann man durchaus gepflegtes Auftreten, aber keinen Reichtum erwarten.
Besagter Lutz Gessler residierte nun fast genau zwei Jahre in Nürnberg und präsentierte folgende Rechnung:

99 Wochen beim Wirt „gesessen“: 99 fl
Kleidung: 31,75 fl
Wein, Bier, Holz, Badegeld: 18,075 fl
Auswärtige Aufenthalte (5 Wochen): 16,4 fl

Summe: 165,225 fl

Damit hätten wir pro Jahr Unkosten von etwas über 82 fl rh für Wohnung, Nahrung, Kleidung, zusätzliche Ausgaben. Nach den zahlen aus dem letzten Artikel deutlich mehr als ein Handwerksmeister verdienen konnte und eher dem Budget der höheren Einkommensschichten entsprechend. Genau diese Kosten wollen wir in den folgenden Artikeln im einzelnen betrachten:

Unterkunft:

Bei den Kosten für Unterkunft haben wir es natürlich mit einer Sonderform zu tun, nämlich dem Wohnen in einer Herberge oder eine vergleichbaren Unterkunft. Üblicher waren natürlich zwei andere Möglichkeiten, nämlich das wohnen zur Miete und der Hausbesitz. Interessanterweise ist das wohnen zur Miete in spätmittelalterlichen Städten schon ausgesprochen verbreitet. Hier handelt es sich aber nicht um Wohnungen im heutigen Sinn sondern eher um vermietet Häuser, die aber durchaus von zwei Parteien bewohnt sein konnten.

HausFallbeispiele für den Hauszins im Jahr:

Maurerpolier, Freiburg,1473: 2 fl
Nachrichter, Basel, 1469: 2,6 fl
Bierbrauer, Frankfurt, 1409: 5 fl

Städtischer Büchsenmeister, Nürnberg, 1445: 8 fl

Stadtschreiber Augsburg, 1450: 10 fl
Hauptmann, Rottenburg, 1453 14,1 fl

Stadtarzt, Ulm 1418: 15 fl

Hauszins nach sozialem Stand:
unter 1,5 fl = unterbürgerlich
1,5 bis 5 fl = kleinbürgerlich
5 bis etwa 20 fl bürgerlich-wohlhabend.

Interssanterweise finden sich sogar wohhabende Bürger die selbst Häuser besitzen und vermieten, dabei aber selbst zur Miete wohnen. Ein Grund kann dabei auch soziale Flexibilität sein, denn es gibt Beispiele die recht häufig umziehen um ein Haus entsprechend ihres sozialen Standes zu bewohnen.
Zur Qualität dieser Mithäuser findet sich eine aufschlussreiche Quelle aus Frankfurt:
Der Patrizier J. Rohrbach schreibt 1496 in sein Tagebuch, seine Mutter habe den Hof innen und außen renovieren lassen samt: „allen zinshuseren darbi…ußgenommendas hinderst zishuß im geslin das alsounrein ward gehalten durch die darin wohnend, das man darumb nit moch dasselbig huß mit estrich beschlagen.
Dagegen werden zwei weitere Häuser „ganz ußbereit“ und mit neuen Öfen ausgestattet.
Von allgegenwärtigem Schmutz bzw. der Gleichgültigkeit disebezüglich kann als keine Rede sein.

HausFallbeispiele für Häuserpreise:

Haus der Bettlerbruderschaft, Straßburg, 1433: 28 fl
Schusterhaus, Biberach, 1438: 36 2/3 fl
Haus des Maurerpoliers aus obiger Liste, Freiburg,1473: 40 fl

Haus für einen Kaplan, München, 1475: 80 fl
Haus eines Scheiners, Nürnberg, 1440: 150 fl
Haus eines Plattners, Nürnberg, 1496: 400 fl

Haus des Stadtarztes, Frankfurt, 1486: 480 fl
Patrizierhaus, Frankfurt, 1476: 800 fl
Das Dürerhaus in Nürnberg 1509: 275 fl (und 278 fl Zinsablösung)

Haus eines Bergwerksbesitzers, München, 1487: 1000 fl

Der jährliche Mietzins für ein Haus liegt damit ungefähr zwischen 5 und 10% des Wertes, ein Wert der als recht übliche Verzinsung angesehen werden kann.  Die Kosten für Unterkunft zur Miete, zwischen 10 und 20% des Lohnes, im Schnitt als weniger als wir heute aufwenden müssen.
Interessant ist das die Kosten für einen Hauskauf recht gering erscheinen. Ein Haus liegt nur bei etwa einem oder zwei Jahreslöhnen. Eigentlich sollte man denken, dass damit der Erwerb einer Immobilie umso verlockender wäre, trotzdem gibt es Hinweise darauf, das bis zur Hälfte der Haushalte zur Miete gewohnt haben.

Die Mietkosten im obigen Beispiel des Lutz Gessler, sind damit aber offenbar für eine recht gute Unterkunft, denn 52 fl rh im Jahr hätten auch für ein durchaus ansehnliches Handwerkerhaus des Mittelstandes gereicht.

Zur Qualität der Unterkünfte lässt sich aus Schriftquellen natürlich wenig sagen, ein interessantes Beispiel haben wir aber aus Nürnberg, wo der Rat 1488 15 Häuser zur Vermietung an zuziehende Barchentweber errichten ließ. Diese Häuser hatten eine Grundfläche von 8,2 x 7,2 m, ein steineres Erdgeschoß mit Werkstatt und zwei Fachwerkobergeschosse als Wohnräume. Allerdings hatte jedes Obergschoss hatte eine eigene Kochstelle, kann also als eigene Wohneinheit aufgefasst werden. Damit würde jede Wohnung eine Stube mit Ofen, eine Küche mit Kochstelle und eine unbeheizbare Kammer aufweisen, bei einer Gesamtfläche von 45 m2 und einer Raumhöhe von 2,65 m.
Der Mietzins betrug zwischen 2 und 2,5 fl im Jahr. Das diese Wohnungen für Familien vorgesehen waren, geht aus dem vertraglichen Recht hervor, das Meisterwitwen ein Anrecht auf Wohnung im zweiten Obergeschoss hatten.
Damit haben wir ein sehr gutes Beispiel für das untere Ende der kleinbürgerlichen Skala.

Zu den Wohnkosten kommen natürlich noch das was wir heute als Betriebskosten bezeichnen würden, nämlich Kosten für Brennholz und Beleuchtung.

KaminBeispiele für Brennholzkosten:

Deutschordenskommende Straßburg, 1413: 1,55 fl pro Kopf und Jahr
Deutschordenskommende Basel, 1413: 2,17 fl pro Kopf und Jahr

Städtischer Maurermeister Nürnberg, 2. Hälfte 15. Jhdt: 2 fl im Jahr
Haushalt eines Ratsmitgliedes, Zürich, 1422: 4,7 fl im Jahr
Haushalt anderer Bürger, Zürich, 1422: 3,5 fl im Jahr
Haushalt eines Nürnberger Patriziers, 1507: 25 fl im Jahr

Überraschenderweise können die Kosten für Brennholz demnach die Hälfte der Wohnkosten erreichen, dazu kommen noch die Kosten für Beleuchtung. Diese werden gerade bei Pfründen recht detailliert aufgeführt. Man kann zwischen Wachs oder Unschlitt (Talg) als Leuchtmittel unterscheiden, die Kosten werden bei Pfründnern, also meist einzeln lebenden Menschen mit 1 bis 2 Hellern pro Nacht angegeben, 0,5 fl rh im Jahr sind aber ein durchaus realistischer Wert.
Gleichzeitig finden sich in auch Mengenangaben, die von 20 Lichtern pro Woche für einen Spitalspfarrer bis zu einem Licht am Samstag für Bewohner im Spital von Bruchsal reichen.

Lebenshaltung in Frankfurt des Jahres 1475, Teil 2: Löhne und Einkünfte

Montag, Dezember 11th, 2017

In diesem Teil unserer kleinen Reihe über die Lebenshaltung im Frankfurt des Jahres 1475 kommen wir zu den Einkünften der Frankfurter Einwohner. Damit kommen wir natürlich auch zu den sozialen Schichten.
Die Angaben erfolgen in Rechenwährung, ob nun der Betrag dann so ausgezahlt wurde oder in Umlaufwährung umgerechnet wurde, lässt sich nicht sagen.

TagelöhnerEine wunderbare Quelle für die unteren Einkommensschichten ist eine Verordnung des Frankfurter Rates über Tageslöhne, was schon zeigt das dieses Thema öffentliches Interesse berührt.
Darin wird jeweils zwischen Sommer und Winter, sowie zwischen Lohn ohne und mit Verpflegung unterschieden. Die Unterscheidung zwischen Sommer und Winter dürften mit der täglichen Arbeitszeit begründet sein.  Bei auswärtiger Beschäftigung ist auch die Verpflegung geregelt, so gab es eine Frühstückssuppe, Mittagessen und ein Vesperbrot, aber ausdrücklich kein Abendessen.

Ein Beispiel sollen hier die Zimmerleute und Schieferdachdecker sein, die 5 Schilling Heller (45 Heller) bzw. 3 ½ Schilling Heller (31 ½ Heller) im Sommer und 4 Schilling Heller (36 Heller) bzw. 3 Schilling (27 Heller) im Winter bekamen.

Aus dieser und weiteren Quellen, dem Jahresmittel und ausgehend von 250 Arbeitstagen im Jahr, eine sehr niedrig angesetzte Anzahl, ergeben sich die folgenden Tages- und Jahreslöhne:

Lohnliste
 
Sehr viel niedriger sind in der Verordnung die festgelegten Löhne für Frauen, die z.B. bei Arbeit im Weinberg nur
10 bis 12 Heller am Tag bekamen.

Dazu zum Vergleich weitere Berufe:

Ein Soldknecht im Aufgebot nach Neuss 1474/75:  4 fl im Monat
Bäcker:   28 bis 35 fl im Jahr
Schneider (bei Arbeit im Haus des Kunden):   20 fl im Jahr
Ein Priester mit Pfarrstelle:  80 fl im Jahr
Benediktinermönch:   40 fl im Jahr + 5,5 fl für Kleidung

Spitalsschreiber:   25 fl im Jahr bei freier Kost und Logis
Städtischer Schreiber 3. Klasse:   52 fl im Jahr
Steuerschreiber in Nürnberg:   84 fl im Jahr
Stadtschreiber in Nürnberg:   200 fl im Jahr
Stadtschreiber in Frankfurt (1440):   100 fl im Jahr, auf Lebenszeit bestellt, 1 fl in der Woche bei Arbeitsunfähigkeit

Münsterbaumeister in Ulm:  90 fl im Jahr bei freier Unterkunft
Stadtadvokat in Frankfurt:    80 bis 150 fl im Jahr
Stadtarzt in Frankfurt:  10 fl im Jahr und 20 fl für Kleidung
Erster Wundarzt in Frankfurt:   30 fl im Jahr
Geschützmeister (inklusive 2 Gesellen):   90 fl im Jahr

Gerade die Bezüge städtischer Angestellter sind oftmal lediglich gedacht um sich der Dienste der jeweiligen Personen zu versichern. Die tatsächlichen Bezüge sind immer dann, wenn exakte Zahlen vorliegen ungleich höher.
Vor allem die beiden Zahlen für Stadtarzt und Wundarzt sind sehr niedrig, ein Berner Wundarzt hat in der gleichen Zeit über seine städtischen Bezüge noch zwischen 54 und 121 fl verdient.

DienerGesindelöhne sind nicht leicht festzustellen, denn hier gibt es eine enorme Bandbreite. In Nürnberg hat es im Kirchenspiel St. Leonhard z.B. 123 Mägde, die zwischen 1,13 fl und 3,4 fl im Jahr erhalten, wobei der größte Teil um 2,5 fl liegt.
Auch hier spielt das Geschlecht eine große Rolle, Knechte liegen grob gesagt etwa beim doppelten.

Daraus kann man einige Einkommensklassen einteilen.

Gesinde: zwischen 2 und 6 Gulden im Jahr
Tagelöhner: 14 bis 20 Gulden
Gesellen: 20 bis 50 Gulden
Meister: 30 bis 60 Gulden
Akademiker und hohe städtische Angestellte: 80 fl und mehr

 

Patrizer werden weniger an ihrem Einkommen gemessen, wobei Claus Stalburg als Erbe 45.000 Gulden erhielt. Um 1450 zahlte Wigand von Heringen eine der höchsten Steuern in der Stadt, nämlich 132 Pfund Heller.

Mit den Lebenskosten, werden wir uns im nächsten Teil genauer befassen, aber aus den Quellen kann man ablesen, das 25 Gulden im Jahr als das gesehen wurden, was man zum Leben in einem Jahr benötigt und 50 Gulden sind ein hinreichendes Einkommen für eine Familie der Mittelschicht.
Daraus kann man aber ebenso absehen, das etliche Berufe unter dieser Grenze bleiben, wobei man dann davon ausgehen muss, dass der reine Lohn nicht die einzige Einnahmequelle war.
Entweder der betreffende verkauft außer der Lohnarbeit noch Waren, oder weitere Familienmitglieder verdienen zusätzlich. Letztlich ist auch Eigenversorgung immer ein Thema, selbst in den Städten.
Einige Berufe sind auch gar nicht darauf ausgelegt als einzige Einnahmequelle zu dienen. So werden z.B. die Türmer und Zöllner erschreckend gering entlohnt, gleichzeitig sind die Zeiten in denen sie anderen Berufen nachgehen können detailliert genannt.
Beim, ebenfalls auffallend schlecht bezahlten, Gesinde kommt zum Lohn natürlich noch Kost, Logis, Kleidung oder Stoffgaben und an Feiertagen Trinkgelder.

WundarztSozialer Stand:

Einfacher als über Einkommen lässt sich eine ungefähre Vorstellung des sozialen Standes bilden, wenn man einen Blick auf das zu versteuernde Vermögen zu wirft. Für Frankfurt finden wir dabei folgende Verteilung:

Steuerfreibetrag Frankfurt: 1/3 des Wohnhauses, 1 Pferd, eine Kuh, Hausrat, Kleider, 2 silberne Becher pro Familie, Ein Jahresvorrat an Brotfrucht, Wein, Brennholz, Viehfutter und Stroh.

46% der Steurpflichtigen unter 20 fl
27% 20 bis 10 fl
14% 100 bis 400 fl
13% 400 fl und mehr.
1,7 % mehr als 10.000 fl.

Laut einer Verordnung von 1458 müssen Bürger mit einem Vermögen von 500 fl einen Jahresvorrat an Getreide vorrätig halten plus 5 Achtel für den Rat. Offenbar ist mit dieser Grenze, die etwas weniger als ein fünftel der Bürger umfasst, eine Grenze für Wohlstand.

Interessanterweise ist das Vermögen der meisten Bürger geringer als man dies beim Einkommen vermuten würde. Die Gründe dafür lassen sich möglicherweise im dritten Teil dieses Betrachtung finden, der wich mit den Kosten für Unterkunft und Kleidung beschäftigt.

Literatur:

Dirlmeier, Ulf: Untersuchungen zu Einkommensverhältnissen und Lebenshaltungskosten in oberdeutschen Städten des Spätmittelalters, Heidelberg 1978
Joseph, Paul:
Die Münzen von Frankfurt am Main, Nachdruck der Ausgabe von 1896, Einbeck 2016
Pies, Eike: Löhne und Preise von 1300 bis 2000, Wuppertal 2014
Rittmann, Herbert:
Deutsche Münz- und Geldgeschichte der Neuzeit bis 1914, Solingen 2003
Rottmann, Michael:
Die Frankfurter Messen im Mittelalter, Stuttgart, 1998
Weiss, Hildegard:
Lebenshaltung und Vermögensbildung des mittleren Bürgertums, München 1980

Lebenshaltung in Frankfurt des Jahres 1475, Teil 1: Geld

Samstag, Dezember 9th, 2017

Als Gemeinschaftsprojekt von Helenopolis – Frankfurter Aufgebot 1475 und Geschichtsfenster, soll diese kleine Serie ein wenig die Lebenshaltung der Menschen damals beleuchten.
In den kommenten Artikeln werden Löhne und Lebenshaltungskosten betrachtet, als Grundlage wird es heute aber um das Geld gehen:

Geld im Frankfurt des Jahres 1475

Grundsätzlich gibt es zwei Arten mit Geld zu rechnen im späten Mittelalter. Einmal auf dem Papier mittels Rechnungswährungen, das andere mit dem Nennwert einer verbreiteten Münze.

Rechnungswährung:

Im 14. Jahrhundert schlossen sich die rheinischen Kurfürsten, also die Erzbischöfe von Köln, Trier und Mainz, sowie der Pfalzgraf bei Rhein zum rheinischen Münzverein zusammen und prägten den Rheinischen Gulden auf Grundlage der Kölner Mark. Aus einer Mark Gold (234 g) wurden ursprünglich 66 Gulden geschlagen.
Dieser rheinische Gulden wurde im Verlauf des Spätmittelalters zu einer Art Leitwährung im gesamten Reich, die auch für Umrechungen genutzt wurde.
Unterteilt wurde wie folgt:

1 Gulden = 24 Schilling Heller = 216 Heller
1 Schilling Heller = 9 Heller

Abgekürzt wurde der rheinische Gulden als „fl rh“ abgekürzt, „fl“ lehnt sich dabei an den Florin an, der ursprünglich in Florenz geprägt wurde. Die Abkürzungen für Schilling und Heller lauten „ß“ und „hlr“.
Neben dem rheinischen Münzverband gab es noch den älteren wendischen Münzerverband der wendischen Hansestädte von 1379 und den Rappenmünzbund von 1403, dem neben Städten wie Basel und Freiburg auch der Herzog von Österreich angehörte.

Die Unterscheidung zwischen Rechen- und Umlaufwährung entsteht durch die schleichende Abwertung des Geldes durch geringer werdende Edelmetallanteile.
Der rheinische Gulden um 1475 hat real zwischen 18 und 19 ½ Karat, rechnerisch aber 24 Karat. Bei den Silbermünzen ist ebenfalls meist minderwertig Metall beigefügt. Auch da geht die Rechenwährung aber stets von quasi reinem Material aus.

Die andere, ältere Methode von Rechnungseinheiten war das Pfund bzw. die Mark. Hier wurde im Grunde in reinem Edelmetallgewicht gerechnet. Ursprünglich war dies das Karlspfund bzw. das halbe Pfund die Mark.
Durch den Erfolg des rheinischen Guldens, wurde die Kölner Mark bzw. das Kölner Pfund sehr populär und löste das Karlspfund quasi ab.
Als Recheneinheit haben wir also das Pfund und die Mark in Silber, manchmal auch Pfund oder Mark Heller genannt. Dies war die übliche Einheit für Verträge, Rechnungen über größere Summen usw. Unterteilt wurde die Mark Silber in 256 Pfennige, wobei dieser Gewichtspfennig nicht mit der Münze verwechselt werden darf.

Umlaufmünzen:

Bei den Münzen ist der rheinische Gulden ebenso führend, da aber der Goldgehalt schon aus technischen Gründen ganz rein sein konnte, weicht der Wert der Münze „Gulden“ von dem der Rechnungseinheit mit der Zeit ab. Um 1475, lag der Goldgehalt eines rheinischen Guldens bei etwas über 19 Karat (24 Karat wäre reines Gold).
Als Gegenstück dazu wurde unter anderem in Frankfurt ein königlicher Gulden geprägt, der sich, zumindest in unserem Zeitraum, kaum vom rheinischen unterschied aber nie so populär wurde.

Die Alltagsmünzen waren aber Silbermünzen. In Frankfurt der Heller, der Englische und die Tournose, die alle in Frankfurt selbst geschlagen wurden. Die Tournose (auch Turnose) leitete sich dabei vom französischen “grossus denarius Turonus”der seit 1266 geschlagen wurde. Eingedeutscht wurde er auch als Tournosgroschen bezeichnet und ist heute als Groschen noch sprachlisch präsent. Der Englische ist dagegen eine Nachprägung des Brabanter Sterlings. Der Frankfurter Heller war neben dem Albus oder Weißpfennig des Rheinischen Münzvereins eine der populärsten Silbermünzen im Reich.

Für die Tournose haben wir auch gute verlässliche Quellen was das Gewicht und den Reinheitsgrad angeht. So gibt es aus den Jahren 1471 und 1473 Anweisungen an den Münzmeister, das diese einen Silbergehalt von 14,5 Lot aufweisen sollte. Somit wäre der Silbergehalt knapp über 90%.
1452 wurden Tournosen aus „des gemeinen Kauffmans butel“ einer Probe unterzogen und ein Feinsilbergehalt von 2,565 gramm festgestellt. Damit würde eine Tournose 3,04 gramm wiegen, wenn der Silbergehalt genau eingehalten wäre. Im 14, Jahrhundert wurden noch aus einer Kölner Mark Silber (233,8 g) 63 3/4 Tournosen geschlagen, was einem Feinsilbergehalt von 3,67 g entsprochen hätte. Zu der Zeit wurde eine Tournaose auch mit 24 Hellern gerechnet, wir haben also zum einen eine deutliche Münzverschlechterung, gleichzeitig aber auch einen Hinweis darauf, das der Heller recht wertstabil gewesen zu sein scheint.
Die Quellenlage zum Heller ist leider etwas schlechter. Immerhin haben wir auch hier das Ergebnis einer offiziellen Probationen in den Jahren 1452 und 1471, die einen Feinsilbergehalt von 0,128 gramm ergibt. Das tatsächliche Gewicht des Hellers können wir nur von erhaltenen Münzen schätzen, wobei hier ein Gewichtsverlust zu beachten ist. Aber ein Gewicht von 0,3 bis 0,4 gramm scheint realistisch.
Der Feingehalt des Goldguldens ändert sich ebenfalls recht stark um 1475 liegt er zwischen 19 und 19,5 Karat (79 und 81,25%). Bei einem Gewicht von etwa 3,5 gramm ergäbe das einen Feingehalt von etwa 2,8 gramm Gold, was auch den damals angestrebten Werten entspricht.
1477 gab es interessanterweise zwei Anweisungen an die kölner Münzmeister den rheinischen Gulden betreffend. Einmal die offizielle Anweisung 103 Stück auf 1½ Mark zu 19 Karat Feingold auszubringen; also 2,696g je Goldgulden, dann die Interne 104 Stück auf 1½ Mark zu 18 Karat 10 Grän Feingold zu schlagen; also 2,647g je Goldgulden und damit deutlich weniger als die 3,68 gramm die im 14. Jahrhundert einmal veranschlagt wurden.

Für Frankfurt haben wir es mit den Münzen aus zwei getrennten Prägeorten zu tun. Einmal der königlichen Münze die den Reichsgulden, auch Apfelgulden geschlagen hat, der trotz anderslautender Bereicht im Grunde exakt dem rheinischen Gulden entsprach. Daneben gab es aber auch die Frankfurter Münze, die seit 1428 eigene Silbermünzen schlug.
Die Umrechnung dieser üblichen Münzen lautete wie folgt:

1 Gulden = 12 Tournosen = 36 Englische = 216 Heller
1 Tournose = 3 Englische = 18 Heller
1 Englischer = 6 Heller

Wie oben schon erwähnt ist die Umrechnung 1 Gulden = 216 Heller im ganzen Reich üblich gewesen, das heißt aber nicht, dass alle regionalen Währungen das so gehalten hätten. Im Gegenteil sind die einzelnen Währungen sehr unterschiedlich. Frankfurt als Messestandort war da eher prägend für die Rechenwährung.

Nur ein paar Beispiele:

Köln und Rheinischer Münzverein:
1 Rheinischer Gulden = 16 Schilling = 24 Albus = 192 Pfennig = 288 Heller
Lübeck und wendischer Münzverein:
1/2 Lübecker Gulden = 1 Lübbesche Mark = 16 Schilling = 42 Witten = 96 Blaffert = 192 Pfennig
Nürnberg und Franken:
1 Gulden = 20 Schillinge = 120 Pfennige = 240 Heller

Frankfurter Heller aus dem Privatbesitz eines Mitgliedes von Helenopolis – Frankfurt 1475

Literatur:

Dirlmeier, Ulf:
Untersuchungen zu Einkommensverhältnissen und Lebenshaltungskosten in oberdeutschen Städten des Spätmittelalters, Heidelberg 1978
Joseph, Paul:
Die Münzen von Frankfurt am Main, Nachdruck der Ausgabe von 1896, Einbeck 2016
Pies, Eike: Löhne und Preise von 1300 bis 2000, Wuppertal 2014
Rittmann, Herbert:
Deutsche Münz- und Geldgeschichte der Neuzeit bis 1914, Solingen 2003
Rottmann, Michael:
Die Frankfurter Messen im Mittelalter, Stuttgart, 1998
Weiss, Hildegard:
Lebenshaltung und Vermögensbildung des mittleren Bürgertums, München 1980

Buchempfehlung: Osprey Publishing

Dienstag, November 14th, 2017

Schlacht
Zu unserer Anfangszeit waren die Bücher von Osprey Publishing eine der wenigen Möglichkeiten an Bildquellen oder Informationen zu Sachkultur und Kleidung zu kommen. Das eine der Gründerväter der historischen Darstellung des Spätmittelalters, Gerry Embleton, viele dieser Bücher illustrierte, war dann noch besonders reizvoll, konnte man so doch an den Erkenntnissen der Company of St. George partizipieren.

Heute muss man sagen, dass bei den Büchern durchaus Licht und Schatten zu finden ist. Einige Bücher sind immer noch überaus hilfreich, andere sind schlicht überhohlt und unbrauchbar.

Statt der Vorstellung eines Buches, hier daher die Bände von Osprey publishing, die wirklich empfehlenswert sind.
Übrigens möchten wir ausdrücklich vor den deutschen Übersetzungen des Brandenburgischen Verlagshauses warnen. Zwar bekommt man hier Doppelbände für recht wenig Geld, die Übersetzung ist aber derart schlampig, dass man bei vielen Fachbegriffen schlicht raten muss was gemeint sein könnte und der Sinn ganzer Sätze verloren geht.

Der jeweilige Titel ist der, wie immer kommerzielle Link auf Amazon, wobei wir jedem nur raten können auch Plattformen wie ZVAB und Booklooker zu nutzen. Gerade diese Bände findet man dort oft günstig.

Die Men-at-arms Serie ist eine der ältesten bei Osprey und wendet sich an den generell militärhistorisch Interessierten. 

Cover

German Medieval Armies 1300-1550 von Christopher Gravett, Bilder von Angus McBride, 48 Seiten, ist dementsprechen eher weit gefasst, bringt aber neben Besonderheiten der deutschen Kriegsführung und Beschreibung von Schlachten wie immer Bildtafeln, wobei Angus McBride ein guter Künstler, aber historisch eher weniger genau ist.

Forces of the Hanseatic League von David Nicolle, Bilder von Gerry & Sam Embleton, 48 Seiten, umfasst auch 200 Jahre konzentriert sich dabei aber auf Norddeutschland und den Seekrieg. Die Bildtafeln sind brauchbarer als beim vorigen Band, auch wenn einige Interpretationen eher interessant sind.

 

Die Campaign Serie behandelt jeweils eine Schlacht oder einen Kriegszug genauer und wendet sich teilweise an Tabletop-Strategie-Spieler.

coverThe Fall of English France 1449-53, David Nicolle, Bilder von Graham Turner, 96 Seiten, behandelt die Endphase des 100jährigen Krieges. Während Schlachten wie die von Crecy und Agincourt oder auch die Ereignisse um Johanna von Orleans recht bekannt sind, sind die nachfolgenden Entwicklungen eher wenigen geläufig. Das Buch stellt beide Seiten ausführlich vor und zeigt detaillierte Karten der Schlachtfelder. Ein heimliches Highlight sind hier die doppelseitigen Bilder von Graham Turner der deutlich unser Liebling unter den Zeichners der Verlages sind.

Bosworth 1485: Last Charge of the Plantagenets, Christopher Cravett, Bilder von Graham Turner, 100 Seiten. Die „letzte Schlacht der Rosenkriege“ (auch wenn Stoke eigentlich die letzte war) und der Untergang des Hauses Plantagenet ist schon für sich Stoff für Legenden. Dieses Buch ist aber mehr an der wirklichen Geschichte interessiert, die ebenso spannend und tragisch ist. Neben den guten Informationen zur englischen Kriegstechnik und den gewohnt guten Karten, überzeugen auch hier die Bilder von Graham Turner.

Die Warrior-Serie richtet sich schließlich an historische Darsteller und Reenacter und bietet neben militärhistorischen Informationen auch viel zu Sachkultur und Alltagsleben.

Teutonic Knight 1190-1561, David Nicolle, Bilder von Graham Turner, 64 Seiten. Der Deutsche Orden und die Geschichte der osteuropäischen Kreuzzüge steht im Mittelpunkt dieses Bandes, der aber auch einiges an Quellen für das Spätmittelalter in Deutschland bietet. Leider ist die Zeitspanne sehr groß und die Bildtafeln noch recht unkonkret.

Condottiere 1300-1500, David Nicolle, Bilder von Graham Turner, 64 Seiten, widmet sich den berühmten italienischen Sölderführern und ihren abenteuerlichen Lebensläufen. Gerade im Vergleich zu Nordeuropa ein interessantes Buch, das aber ein wenig bei den Bildquellen schwächelt. Auch die Tafeln von Graham Turner sind optisch schön, aber weniger detailliert als man dies gewohnt ist.

CoverEnglish medieval Knight 1400-1500, Christopher Gravett, Bilder von Graham Turner, 64 Seiten ist mein persönlicher Liebling. Nicht weil mich die englischen Ritter so wahnsinnig interessieren, sondern weil dieses Werk schlicht für unsere Zeit das ergiebigste ist. Von Originalen Rüstungen über Explosionszeichnungen bis zu selten gesehenen Bildquellen ist das Buch ein Pflichtkauf für jeden den dieses Thema interessiert. Insbesondere der Illustrator Graham Turner läuft in diesem Band zur Höchstform auf, was aber wenig wundert, wenn man weiß, das er selbst in einer Rüstung der Zeit an Turnieren teilnimmt.
Ebenso empfehlenswert sind übrigens auch die beiden Vorgängerbände, die das 13. Jahrhundert und 14. Jahrhundert behandeln.

Die Weapon-Serie behandelt schließlich Waffengattungen.

Medieval Handgonnes, Sean McLachlan, Bilder von Gerry und Sam Embleton, 80 Seiten. Ein gutes Einführungswerk ins Feld der historischen Handfeuerwaffen. Die Bilder sind recht skizzenhaft, dafür sind die Bildquellen gut gewählt und das abfeuern zweiter verschiedener Typen von Feuerwaffen wird Schritt für Schritt durch Fotos historischer Darsteller demonstiert.

Buchempfehlung: Kleidung und Waffen der Spätgotik

Montag, November 13th, 2017

Leider ist es sehr schwierig gute Literatur für den Einstieg in die Waffen- und Kostümkunde zu finden. Entweder sind die empfehlenswerten Werke sehr spezialisiert und meist teuer, oder behandeln das Thema zu oberflächlich und ungenau.
Die Reihe Kleidung und Waffen der Spätgotik, von Ulrich Lehnart, selbst historischer Darsteller und Historiker, versucht diese Lücke zu schließen und auch 12 Jahre nach erscheinen des letzten Bandes steht sie damit recht allein auf weiter Flur.
Da er unserer Zeitstellung am nächsten kommt, wollen wir hier den dritten Band behandeln der die Kleidung und Mode der Jahre 1420 bis 1480 behandelt. Die Qualität der anderen Bände ist aber mit diesem durchaus vergleichbar.

Cover Kleidung und Waffen des Spätmittelalters III

Alle Bände weisen je zwei Teile auf, Teil 1 mit der Kleidung, Teil 2 mit Waffen und Rüstungen. 
Dazu gibt es jeweils einige Farbtafeln mit sehr brauchbaren Beispielen. 

Teil eins des vorliegenden Bandes teilt sich noch einmal in die Herren und Damenmode. Erstere wird abermals in die Zeitabschnitte 1420 bis 1450 und 1450 bis 1480 aufgeteilt, angesichts der großen Veränderung in dieser Zeit eine sehr sinnvolle Herangehensweise. Ebenso die Aufzählung von innen nach Außen von der Unterwäsche über die Oberbekleidung bis zu den Accerssoirs. Bei den Damen sogar um eine kurze Stoffkunde ergänzt.
Hierbei gelingt es Lehnart trotz des begrenzten Platzes auch noch kurze Ausblicke in die wichtigsten europäischen Modeströmungen zu werfen und so die burgundische und die süddeutsche Mode zu vergleichen, wenngleich der letztere Begriff aus heutiger Sicht unglücklich gewählt ist.

Überhaupt merkt man dem Buch das Alter ein wenig an. Die Leistung Lehnarts liegt mit seinen Büchern neben der prägnanten Schreibweise vor allem darin damals unter historischen Darstellern nahezu unbekannte Quellen wie z.B. die Munderkinger Passion zu erschließen und bekannt zu machen. Inzwischen sind aber solche Unmengen an Vorlagen per Internet zugänglich, dass zwangsläufig auch der Forschungsstand ein anderer ist. 
Dennoch ist der allergrößte Teil der Aussagen noch immer korrekt und dem praktischen Nutzen für den interessieren Laien tut der Umstand auch keinen Abbruch. 
Zumal Lehnart sein Buch mit einer ganzen Reihe an Bildtafeln und schematischen Grundschnitten versieht.

Der zweite Teil über Rüstungen kann aber auch heute noch als Grundlage bedingungslos empfohlen werden.
Nach einer Einleitung über das Plattnerhandwerk und einem lesenswerten Artikel über Kompositharnische in der musealen Darstellung, entwirft der Autor eine Stilkunde die die Rüstungen der Zeit von 1420 bis 1480 in einen Italienschen Stil, einen Exportstil mit jeweils englischen, französischen und deutschen Eigenheiten und einen deutschen Stil unterteilt. Natürlich kann man diese Stile nicht trennungsscharf betrachten und es gibt etliche Unschäften, stilistisch passen diese Unterteilungen aber gar nicht schlecht auf die erhaltenen Stücke. Man muss sich nur von der Idee trennen, dass der Name des Stils unbedingt auf den Herstellungsort übertragbar sei. So kann ein „italienischer Exportharnisch“ durchaus mitten im Reich geschlagen worden sein, er folgt stilistisch dennoch besagtem Exportstil der von italienischen Plattnern für den deutschen Markt entworfen wurde.

Der ganze Rüstungsteil, der auch exotischere Stücke wie Brigantinen und Textilpanzer vorstellt ist ausgesprochen gut, mit Fotografien von Originalen und hochwertigen Reproduktionen illustriert und da bis heute vergleichbare Einführungen in die Rüstungskunde fehlen, nimmt nach wie vor dieses Buch den Platz als empfehlenswerter Leitfaden ein.

Das abschließende Kapitel über Waffen ist eine gute Ergänzung, wenngleich dieses Thema in so kleinem Rahmen kaum ausreichend behandelt werden kann.

Kleidung und Waffen im Spätmittelalter III kann also nach wie vor jedem Interessierten an der Mode und Waffentechnologie des 15. Jahrhunderts, empfohlen werden. 
Leider ist der erste Band der Reihe kaum noch zu bekommen, auch antiquarisch. Band 2 und 3 sind aber problemlos erhältlich, ebenso der Vorgängerband „Kleidung und Waffen der Früh- und Hochgotik“.

Leider sind die Bände kaum über die üblichen Anbieter wie ZVAB oder Booklooker zu bekommen. Daher an dieser Stelle nur der, wie immer kommerzielle Link zu Amazon.

 

Buchempfehlung: Das Wolfegger Hausbuch

Sonntag, November 5th, 2017

Heute widmen wir uns der wahrscheinlich wichtigsten Bildquelle für unsere Darstellung, dem Wolfegger Hausbuch oft auch einfach als „Mittelalterliches Hausbuch“ bezeichnet. Im Gegensatz zu den bisherigen Buchvorstellungen geht es damit um ein historisches Buch, das aber durch mehrere Bücher die wir im folgenden vorstellen werden erschlossen werden kann.

Wappen

Das Hausbuch, benannt nach seinem langjährigen Aufbewahrungsort Schloss Wolfegg in Oberschwaben, ist schon für sich ein eigentümliches Buch. Es handelt sich weniger um ein llustriertes Buch, als vielmehr um ein Kompendium praktischen Wissens, in dem die Abbildungen eigene Kapitel bilden.
Entstanden ab etwa 1470 hat ein unbekannter in diesem Buch offenbar alles angesammelt, was er für praktisch nützlich hielt. Von Gedächtniskunst über Astrologie, höfische Kultur, Militär und Hüttenwesen bis zu einer ganzen Sammlung verschiedenster Rezepte scheint dabei das Interesse des Sammlers gereicht zu haben. Da die Zutaten der Rezepte oft hebräisch verschlüsselt sind, war das Buch wohl für den privaten Gebrauch vorgesehen.

 

 

Planetenkinder Hausbuch

Zu einem wahren Juwel wird das Buch aber über seine Bilder. Zwei Bildzyklen, zwei ausklappare ABbildungen und eine ganze Reihe eher technischer Zeichnungen sind in dem Werk zu finden, die von mindestens drei Künstlern gestaltet wurden. Der berühmteste ist der Künstler der nur unter dem Notnamen „Meister des Amsterdamer Kabinetts“ oder eben „Meister des Hausbuchs“ bekannt ist. Bei ihm handelt es sich um einen der herausragenden Grafiker vor Dürer und die Technik der Kaltnadelradierung wird ihm ebenso zugeschrieben wie das erste deutsche Doppelportrait.

Aus seiner Hand ist ein Zyklus von Planetenkinderbildern im Hausbuch zu finden, die im Grunde die antiken Götter als Patroner verschiedener Künste und Gewerke zeigt. Diese überaus detaillierten Bilder sind eine wahre Fundgrube für die Sachkultur des späten 15. Jahrhunderts und zeugen von der Meisterschaft ihres Erschaffers.

Kaum weniger Kunstvoll sind die Werke des zweiten prominenten Künstlers, wobei der „Meister der Genreszenen im Hausbuch“ noch mysteriöser ist als der vorgenannte. Zuerst trägt er einen Zyklus vermutlich allegorischer Szenen aus dem höfischen Leben bei. Turnierszenen, lustwandelnde Paare, Jagdszenen, auch dies eine reicher Bilderbogen.
Noch spannender sind aber die Darstellung eines Heerzugs und eines Heerlagers, die auf ausklappbaren Tafel eingefügt sind, wodurch die Szenen geradezu monumental wirken.

Wasserburg Hausbuch

Da das Buch sich in Privatbesitz befindet, ist es der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Nachdem es 2008, für angeblich 20 Millionen € verkauft wurde ist nicht einmal mehr sein Aufenthaltsort sicher. Allerdings hat der Käufer sehr gute Scans anfertigen lassen und z.B. bei Wikipedia finden sich alle Abbildungen in herausragender Qualität. Diese haben wir hier auch zur Illustration verwendet.

Heerzug aus dem Hausbuch

Wer aber tiefer in die Thematik einsteigen möchte, hat eine ganze Reihe an Möglichkeiten.

„Venus und Mars (München 1997) aus der Feder eines Mitglieds der ehemaligen Besitzerfamilie der Grafen;von Waldegg-Wolfsburg, zeigt nicht nur sämtliche Abbildungen in sehr guter Qualität, sondern erläutert auch den kompletten Inhalt. Leider hat für eine Transskription der Rezepte der Platz gefehlt. Dennoch ein sehr gutes Werk, das gerade in Bezug auf die Abbildungen alle Wünsche erfüllt

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„Vom Leben im späten Mittelalter“ (Stuttgart 1985) erscheinen anlässlich einer Ausstellung über den Hausbuchmeister, ist weniger ein Werk über das Hausbuch sondern vielmehr über seinen wichtigsten Künstler und dessen Umfeld. Auch wenn hier alle Abbildungen aus dem Hausbuch zu finden sind, wenngleich in teilweise recht kleinem Format, zeigt der Katalog doch weit mehr. Neben einem großen Teil des bekannten Werkesinklusive Gemälde und Glasmalereien auch das von Künstlern aus dem direkten Umfeld wie Meister BXG. Somit ist der Katalog ein guter Einstieg in die spannende Thematik der frühen Grafik.

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Titelbild Meister um das mittelalterliche Hausbuch„Meister um das „Mittelalterliche Hausbuch“ (Mainz 1994) ist dagegen eine wissenschaftliche Monographie die sich vor allem mit der Frage nach den Künstlern hinter den Bildern beschäftigt. Die These des Autors mit mindestens drei Künstlern sind wir auch in diesem Text gefolgt. 
Die Auswahl der Bilder ist nicht so üppig wie im vorangegangenen Band, aber immer noch reichhaltig und sehr detailliert behandelt. Leider kein ganz billiges Buch.

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Zuletzt noch zwei Reproduktionen des Hausbuchs, zuerst ein Nachdruck einer Reproduktion von 1887, das den kompletten Text transkribiert bietet und sämtliche Abbildungen. Diese allerdings nach der Vorlage nachgestochen und in schwarz weiß. Da man das diese Werk mit ein wenig Glück aber auch unter 30 € bekommen kann, lohnt es sich ab und an danach zu suchen. Mittelalterliches Hausbuch (Hildesheim 1986)

Erfreulicherweise ist diese Version komplett auf Wikisource einsehbar

Rein der Vollständigkeit halber sei noch das Faksimile erwähnt (München 1997), das wirklich das ganze Buch reproduziert und in seinem Zusammenhang zeigt. Normalerweise zahlt man hier aber jenseits der 500 €. Wir hatten nach lange Suche Glück und haben unsere Ausgabe erheblich günstiger finden können.

Hinweis: Die Links auf Amazon sind wie immer gewerblich und Geschichtsfenster verdient daran.